Stefan Farnetani (mindscreen) über Barrierefreiheit und die Auswirkung auf Agentur-Prozesse
Hi Stefan, stell dich doch kurz vor. Wo arbeitest du? Was machst du?
Ich bin Accessibility Specialist und gleichzeitig Geschäftsführer von mindscreen. Die Digitalagentur habe ich vor über 25 Jahren gegründet. Wir sind eine der führenden Anlaufstellen für digitale Barrierefreiheit in Deutschland und betreuen sowohl Konzerne als auch den Mittelstand.
Mit welchen Problemen kommen eure Kunden zu euch?
Aktuell drehen sich die meisten Anfragen um das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Gilt das Gesetz für mich? Welche Produkte oder Dienstleistungen sind betroffen? Wie soll ich starten? Das sind so die typischen Fragen.
Man muss verstehen und akzeptieren, dass Barrierefreiheit ab sofort zu unserem Alltag gehört und wir bis zu unserer beruflichen Rente Barrierefreiheit umsetzen müssen.
Die Frage, ob ich betroffen bin, ist ja gar nicht so einfach zu beantworten, oder?
Prinzipiell schon. Zentral ist: Richtet sich das Produkt oder die Dienstleistung an Endverbraucher? Wenn ja, gibt es im Gesetz einen Katalog mit betroffenen Dienstleistungen und Produkten. Zum Beispiel steht dort, dass Bankdienstleistungen und Onlineshops barrierefrei sein müssen. Aber da muss man auch im Detail schauen: Wenn ich einen Onlineshop und eine normale Seite betreibe, fällt dann auch diese Seite unter das BFSG? Das muss man sich von Fall zu Fall anschauen.
Siehst du grundsätzliche Probleme bei Agenturen?
Agenturen müssen viele Themen gleichzeitig behandeln. SEO, Datenschutz, Kosteneffizienz, Ladezeit, usw. Deshalb versuchen viele, digitale Barrierefreiheit dazwischen einzutakten. Das ist aber problematisch: Barrierefreiheit mit einem Maßnahmenkatalog und einer Checkliste einmalig abarbeiten – das funktioniert nicht. So produziert man im Endeffekt mehr Kosten. Man muss verstehen und akzeptieren, dass Barrierefreiheit ab sofort zu unserem Alltag gehört und wir bis zu unserer beruflichen Rente Barrierefreiheit umsetzen müssen.
CAAT - accessibiltiy testing plattform
mindscreen hat eine Plattform entwickelt, die das Testen auf Barrierefreiheit einfacher und effizienter macht. CAAT wird laut mindscreen von führenden Organisationen und Experten genutzt, um digitale Barrierefreiheit gezielt umzusetzen und ist ein umfassendes, barrierefreies Tool für alle, die sich für eine zugängliche digitale Welt engagieren. CAAT.report
Was müssen Agenturen tun?
Man braucht Wissensmanagement. Leute müssen geschult werden. Es muss teilweise die Art, wie man arbeitet, angepasst sowie automatische Tests und Tools in den Prozess integriert werden. Das sind alles für sich keine großen Maßnahmen, aber es sind Dinge, die jetzt gemacht werden müssen. Man muss kurzfristig mehr investieren, um langfristig Erfolg zu haben.
Das bedeutet schon eine grundlegende Veränderungen für Agenturen.
Auf jeden Fall. Letztlich ist es ähnlich wie bei Datensicherheit und Datenschutz. Wir können die Zeit nicht mehr zurück in die 90er drehen, als wildwestmäßig programmiert wurde. Heutzutage muss alles gewissen Standards folgen. Und so ist es auch mit der Barrierefreiheit. Jeder muss in seiner Profession das Grundwissen darum haben. Der Grafiker muss wissen, was zu tun ist. Die Programmierung muss wissen, was sie machen muss und auch das Projektmanagement muss wissen, welche Aufgaben es innehat, um Barrierefreiheit sicherzustellen.
Jetzt aber mal reinfolgen!
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Wissensaufbau ist also ein zentraler Punkt. Wie kann ich Mitarbeiter schulen und gibt es Zertifikate dafür?
Das Schöne an der digitalen Barrierefreiheit ist, dass man es sich sehr gut selbst beibringen kann. Es gibt zum Beispiel den wunderbaren Newsletter A11y Weekly. Toll sind natürlich auch Events. Wir erstellen seit über fünf Jahren eine Liste, auf der wir kostenlose und kostenpflichtige Veranstaltungen rund um Thema digitale Barrierefreiheit sammeln. Außerdem muss ich an dieser Stelle Werbung für die Web Content Accessibility Guidelines machen (WCAG). Ich kann nur immer wieder empfehlen, zurück zu dieser Quelle zu gehen, weil viele Missverständnisse durch Interpretationen kommen. Wir haben das Glück, dass durch dieses Dokument eine sehr gute Basis wirklich verständlicher Texten geschaffen wurde. Eine weitere schöne Anlaufstelle ist die Self Learning Plattform a11yphant. Und für alle, die eine kompakte Druckbetankung wollen, gibt es Schulungen, wie wir sie etwa auch anbieten.