Wie Kaffee holen – UX-Tests gehören als Agentur in deinen Alltag

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Post-Its mit To-Dos im UX Designprozess
„Das Testen mit Nutzern ist für unsere Projekte in der Agentur unrealistisch. Das würden unsere Kunden nicht bezahlen.“ Diese Aussage bei einer Diskussion auf dem World Usability Day 2019 hat mich nachdenklich gemacht. Mein innerer Rebell wollte sagen: „Das kann nicht sein. Da gehst du falsch ran.“ Aber mir fehlten die Argumente. Tatsächlich arbeite ich auch nicht in einer Agentur an Kundenprojekten, sondern in einem Unternehmen an Produkten. Ich kann es also nicht beurteilen. Trotzdem kenne ich den riesigen Benefit von Nutzertests im Design von Applikationen oder Websites. Daher war ich auch unzufrieden mit der scheinbaren Situation von Agenturen und habe mich gefragt, wie man trotzdem mit wenig Aufwand zum UX-Testing kommen kann.

The Rise of UX-Design

UX-Designer sind hip. Sie schießen aus dem Boden wie Serien-Prequels bei Streaming-Anbietern. Auch wir haben die Disziplin vor einigen Jahren für uns entdeckt. Heute ist sie bei Mittwald nicht mehr wegzudenken. Designer, die sich nicht hauptsächlich mit Ästhetik, sondern mit der Architektur, der Nutzerführung und mit den Nutzern selbst beschäftigen – so würde ich die Disziplin kurz beschreiben. Mit Sicherheit unvollständig und anfechtbar, aber so leben wir es bei uns. 

Wenn ich hervorheben sollte, was sich bei uns durch die Arbeit mit UX-Designern verändert hat? Dann sind das vor allem zwei Punkte:

 

  • Arbeiten mit Prototypen
  • Frühes Feedback

Inzwischen ist es in unsere DNA übergegangen, dass wir jede Produktidee, neue Interfaces oder Landingpages anhand von Prototypen so früh wie möglich testen und intensiv mit dem Feedback arbeiten. Mit Prototypen meine ich bspw. per Hand skizzierte Zeichnungen einer Idee, digitale Wireframes/Mockups oder auch schon detaillierte Klick-Prototypen.

Am häufigsten nutzen wir dabei die „Think Aloud“-Methode. Dabei konfrontieren wir einen Probanden (optimalerweise einen potenziellen Nutzer) mit dem Prototyp und geben ihm Aufgaben. Beispiel: „Buche auf dem Prototyp dieser Website einen für dich passenden Hosting-Tarif.“ Der Proband bekommt den Hinweis, dass er bei der Ausführung der Aufgabe laut denken soll und alles ausspricht, was er denkt, tut und gerade erwartet.

Was bringt das?

Ist man länger mit der Gestaltung eines Produkts oder einer Website beschäftigt, wird man häufig blind für das große Ganze. So trifft man oft viele Entscheidungen, die auf eigenen Annahmen basieren. Das ist vollkommen natürlich. Wenn man aber schon sehr früh und immer wieder Personen vor das Zwischenergebnis setzt und einen Test durchführt, hat man unglaublich viele Aha-Effekte, die die eigene Richtung korrigieren.

Mein Fazit, das ich aus vielen Tests gezogen habe: 

 

  • Nutzer interagieren mit deinem Produkt oder deiner Website anders als du denkst
  • Auch wenn du die Zielgruppe gut kennst, ersetzt deine Erfahrung nicht die Beobachtung echter Nutzer

„Das würden unsere Kunden nicht bezahlen“

Kommen wir zu einem Punkt, über den ich mich schon mit einigen Agenturen ausgetauscht habe. Vielleicht kennt auch ihr dieses "Phänomen": Steht in einem Angebot einer Agentur so etwas wie „Nutzertests“, wollen Kunden diese potenziell nicht bezahlen. Die Grundannahme derer ist nachvollziehbar: „Als Agentur seid ihr doch Profis.“

Doch was nun? Sind Methoden und Denkweisen aus dem UX-Design einfach nicht für den Agentur-Alltag geeignet? Sehr große Agenturen haben inzwischen häufig UX-Designer. Diese betreuen Kunden, deren Budget und Mindset das hergibt. Aber was ist mit den vielen kleinen bis mittleren Agenturen und Projekten? Ist UX nicht alltags- bzw. agenturtauglich? Meiner Meinung nach schon. Im Folgenden findet ihr fünf Ideen, die für Agenturen im Alltag funktionieren könnten! Vielleicht ist es zu idealistisch – vielleicht ist für den ein oder anderen aber auch eine Inspiration dabei.

5 Hacks für den Agentur-Alltag

Ich glaube, dass man keinen „ausgebildeten UX-Designer“ braucht, um als Agentur Methoden aus dem Bereich anzuwenden. Vielmehr bin ich der Meinung, dass man schnell ausprobieren und integrieren sollte, ohne einen riesigen Invest für Fortbildung oder Personal einzuplanen. Optimalerweise hat man für Nutzertests 5–7 Probanden aus der Zielgruppe, einen Testmoderator, eine Person, die dokumentiert, ein Testlabor mit Eye-Tracking, gut vorbereitete und ausgeklügelte Aufgaben und einen klickbaren Prototyp. Das wäre das Optimum. Doch ein solches Setting ist nicht immer notwendig – und vor allem nicht realistisch. Man sollte mit dem arbeiten, was man hat. Denn schlecht sind meiner Erfahrung nach, nur Nutzertests, die man nicht gemacht hat. Jeder improvisierte Test bringt wertvolle Erkenntnisse. Deshalb hier mein Kit für UX-Tests im Agentur-Alltag. 
 

1. Mut zum ersten Test

Schnapp dir einfach einen Kollegen und teste mit ihm, bevor du mit Kunden oder Zielgruppen testest. So bekommst du Sicherheit, welche Fragen/Aufgaben du stellen kannst und wie du den Probanden moderieren solltest. Eine ausführliche Anleitung findest du in unserem Blog. Die Anleitung kann beim ersten Test helfen, folge aber ruhig auch deiner Intuition und halte es einfach.

2. Teste mit dem Kunden, ohne es ihm zu sagen

Das Wort „Test“ verunsichert die meisten. Deshalb: Bevor du deinem Kunden das nächste Mal ein Update des Projektes zeigst, lass es ihn ausprobieren. Gib ihm ein Ziel vor, zu dem er sich durchklicken soll und notiere dir Punkte, bei denen er hakt oder Fragen hat. Reflektiere ihm, was du aus seinem Nutzungsverhalten mitgenommen hast und welche Änderungen du in Erwägung ziehst, um sein Nutzererlebnis zu verbessern. Frage ihn, ob er 2–3 Mitarbeiter hat, mit denen man diesen Test ebenfalls durchführen kann, um Optimierungspotenzial zu finden. Das fühlt sich nicht schwerfällig an und öffnet die Augen, wie viel dir Nutzerfeedback bringen kann. Erzähle davon, dass man das auch mit echten Nutzern bzw. Zielgruppen machen kann. Der eine oder andere Kunde wird begeistert sein und es ausprobieren wollen.

3. Kaffee-Catch mit Agentur-Kollegen

Auch bei euch wird bestimmt massig Kaffee getrunken. Warum stellst du dich nicht einfach mit deinem Prototyp an die Kaffeemaschine und befragst die Kollegen? Frag sie einfach, ob sie fünf Minuten Zeit für ein kurzes Feedback hätten und gib ihnen eine knackige Aufgabe. So kannst du schnell Feedback zu kleinen Entscheidungen einholen, ohne anderen den Terminkalender zu füllen. Oder dreh mit deinem Prototyp eine Runde durchs Büro und frag nach Feedback. So entsteht auch schnell eine Kultur des gegenseitigen Feedbacks.

UX-Testing beim Kaffeeklatsch.

4. Friends & Family

Schnapp dir abends auf dem Sofa das Notebook und zeig Freunden, dem Partner oder der Familie deinen Prototyp. Gib ihnen eine kurze Aufgabe oder lass sie einfach mal drauf los klicken. Auch wenn sie nicht die Zielgruppe oder „vom Fach“ sind – ich habe da schon überraschend wichtiges Feedback erhalten. Vor allem die große Entfernung zum Thema kann sehr hilfreich sein. Natürlich muss man hier (genauso wie bei Kollegen und Kunden) im Kopf behalten, dass diese nicht die Nutzer sind. Doch es bringt mehr als man denkt.

5. Guerilla-Testing auf der Straße

Deine Agentur ist in der Innenstadt oder in Stadtnähe? Schnapp dir ein paar Give-Aways sowie einen Stehtisch und geh auf die Straße. Manchmal kann dies einen selbst unglaublich "hart zurück in die Realität" holen. Wir haben bspw. Passanten zu einer konkreten Produktidee angesprochen und in einer extrem kurzen Zeit absolut richtungsweisendes Feedback bekommen. Das fühlt sich erst mal komisch an und man muss über seinen Schatten springen, ist aber total spannend!

Der Aufwand aus den genannten Methoden ist für das Projektbudget immer noch zu hoch? Dann lohnt sich eventuell trotzdem ein erster Versuch für die eigene Erfahrung – als Investition in sich selbst. Man lernt unglaublich viel, was man für spätere Projekte wieder anwenden kann. Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Spaß beim Testen! :-) 

Wie steht ihr zu UX-Tests? Führt ihr diese in eurer Agentur durch oder was hindert euch daran? Teilt eure Meinung gerne hier unten mit uns.

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