Die Agentur mehrwert im Interview: „Barrierefreiheit muss zum Selbstverständnis werden“
Hallo Kathrin, hallo Andreas, bitte stellt doch euch und mehrwert kurz vor. Aus welchen Bereichen stammen eure Kunden? Was für Projekte setzt ihr für sie um?
Andreas: mehrwert ist eine Digitalagentur, die seit 25 Jahren Hochschulen, Verbände und Vereine, Industrie und Konzerne betreut. Wir haben als Designagentur begonnen und setzen seit etwa 20 Jahren Websites und Anwendungen um – ausschließlich mit TYPO3. Wir betreuen unsere Kunden immer ganzheitlich und setzen Barrierefreiheit bereits seit vielen Jahren in unseren Projekten um. Als Gründer, Geschäftsführer und Gesellschafter von Mehrwert verantworte ich den Bereich Technologie.
Kathrin: Als Designerin kümmere ich mich bei Mehrwert um Markenentwicklung. Barrierefreiheit ist in der Gestaltung ein wichtiges Thema. Für Kund*innen, die gesetzlich nicht dazu verpflichtet sind, spielt das oft keine Rolle. Aber wir beraten trotzdem so, dass die Gestaltung barrierefrei umgesetzt wird. Zusätzlich schule ich die Kund*innen in der Erstellung barrierefreier Dokumente. Das ist vor allem für Hochschulen und öffentliche Einrichtungen relevant.
Ihr arbeitet seit vielen Jahren am Thema Barrierefreiheit. Wie kommt es, dass ihr schon so früh darauf gesetzt habt?
Andreas: Wir hatten lange Zeit Mitarbeiter*innen, die mit Einschränkungen leben müssen. Dadurch haben wir schon früh gemerkt, was das im Arbeitsalltag bedeutet. Das war total wertvoll und wir haben verstanden: Barrierefreiheit ist keine Option, sondern ein Muss.
Im nächsten Jahr tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft. Spürt ihr bereits Auswirkungen? Haben eure Kunden das Thema auf dem Schirm?
Andreas: Wir betreuen viele Hochschulen und Konzerne. Die sind in der Regel informiert und sensibel im Umgang. Gleichzeitig haben sie aber Respekt und auch eine gewisse Angst davor. Bei den kleineren Kunden ist das kein Thema. Da sind wir diejenigen, die darauf aufmerksam machen.
In Beratungssituationen herrscht oft Unklarheit und Angst vor dem Aufwand.
Wird sich das Bewusstsein hin zu Sommer 2025 und dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ändern?
Andreas: Ich erwarte, dass es wie bei der DSGVO läuft. Zwei Tage vorher werden alle panisch. Barrierefreiheit ist relativ abstrakt für Menschen, die keine persönlichen Berührungspunkte haben. In Beratungssituationen herrscht deshalb oft noch Unklarheit und Angst vor dem Aufwand.
Blick in die Praxis: Auf welche Herausforderungen stoßt ihr regelmäßig bei Webprojekten? Welche Tools setzt ihr ein, um sie zu lösen?
Kathrin: Manchmal ist es schwer, Kund*innen zu sensibilisieren. Dann sehen wir es als unsere Aufgabe, sie aufzuklären. Dafür kann man zum Beispiel eine Typografie weichzeichnen und zeigen, ob eine Schrift auch mit Beeinträchtigung noch lesbar ist. So helfen wir z. B. bei der Entscheidung hin zu einer barrierefreien Schriftart. Außerdem nutzen wir Tools, die Rot-Grün-Schwäche darstellen oder Kontraste prüfen.
Wir nutzen Jaws und Voiceover um die Screenreader-Tauglichkeit zu testen.
Welche Tools verwendest du dafür?
Kathrin: Chrome Lens, Arc Tool oder auch Litehouse. Jaws und Voiceover nutzen wir, um die Screenreader-Tauglichkeit zu testen. Wenn ich digitale Dokumente prüfe, verwende ich Pac. Bei der Webentwicklung sind Kontrast-Checker hilfreich. Damit kannst du direkt schauen, ob deine Kontrastwerte Triple A entsprechen. Mit diesen Tools schauen wir, dass die Grundlage jedes Projekts barrierefrei angelegt ist.
Wie haltet ihr euch up-to-date? Wo kann man sich schlau machen, wenn man sich neu mit dem Thema befasst?
Kathrin: Website und Newsletter der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit sind für aktuelle Richtlinien sehr hilfreich. Auch der Newsletter von Raul Krauthausen ist interessant für das Bewusstsein über Inklusionsthemen. Genauso haben die Aktion Mensch und der Deutsche Behinderten- und Sehbehindertenverband gute Websites zu dem Thema. Wenn es um die Gestaltung digitaler Medien geht, kann ich leserlich.info empfehlen.
Andreas: Um dem Thema als Führungskraft einen höheren Stellenwert in der Agentur zu geben, muss man dafür Zeit einräumen und Weiterbildung ermöglichen. Man muss die Menschen ermutigen und Räume schaffen, in denen sie sich austauschen können. Das können kleine Maßnahmen sein, wie z. B. ein Slack-Kanal, in dem es nur um inklusive Themen geht. So entsteht Austausch. Ziel sollte sein, dass es selbstverständlich ist, dass Barrierefreiheit umgesetzt wird.
Stichwort Freiräume und Lernen: Ihr habt das Kartenspiel „League of Accessibility“ entwickelt. Welche Idee steckt dahinter?
Andreas: Das Kartenset ist als Randprojekt entstanden – als Geschenk für unsere Kunden aber auch zur Weiterentwicklung für uns. Im Rahmen des Projekts haben wir total viel gelernt.
Kathrin: Es gibt Barrierekarten, die zeigen, welche Barrieren es gibt. Die Empathiekarten enthalten Aufgaben, die ein Nachempfinden der Schwierigkeiten durch Barrieren ermöglichen. Und dann gibt es noch die Handlungskarten, die Empfehlungen für barrierefreie Gestaltung, Programmierung und Redaktion geben.
Danke für das Gespräch!
Andreas bei Head in the Cloud!
Lerne Andreas auf der Head in the Cloud kennen. Als Speaker wird er dort über nice Saves und lustige Katastrophen aus der Kundenberatung sprechen. Und hat sicher auch den ein oder anderen Accessibility-Tipp parat.