New Work: mehr als Homeoffice und Espressomaschine
Obwohl das Buzzword New Work heute meist in einem Atemzug mit digitalen Technologien und der digitalen Transformation genannt wird, steckt viel mehr dahinter. Begründer der New-Work-Bewegung ist der österreichisch-US-amerikanische Philosoph Prof. Dr. Frithjof Bergmann. Der heute 88-Jährige entwickelte seine Theorie in den 70er-Jahren. Damals war die „Neue Arbeit“ vor allem als Gegenbewegung des Kommunismus gedacht.
Erwerbsarbeit als milde Krankheit
Frithjof Bergmann vergleicht die „alte“ Arbeit mit einer milden Krankheit. Diese sorge von Montag bis Freitag für Unwohlsein. Das Wochenende verspricht Linderung. Aber die Symptome kehren mit Regelmäßigkeit zum Wochenstart wieder. Geheilt wird man von der milden Krankheit in unserer aktuellen Arbeitswelt eigentlich erst mit dem Eintritt in den Ruhestand oder dem Lottogewinn in Millionenhöhe. Die Erwerbsarbeit ist in seinen Augen also ein leidiges Übel.
Bergmann plädiert in seiner Ursprungstheorie für eine radikale Kürzung der Lohnarbeit. Maximal zwei Tage in der Woche. Schließlich mache sie die Menschen krank, abhängig, ökonomisch erpressbar und kaputt. Die Menschen sollen sich dem widmen, was sie wirklich, wirklich wollen. Denn die vermeintliche Freiheit als bloße Wahlfreiheit zwischen fremdbestimmten Alternativen ist in Bergmanns Augen keine wirkliche Freiheit. Entscheidungsfreiheit muss also um Handlungsfreiheit ergänzt werden.
Old Work fördert die Armut der Begierde
Bergmanns Ziel: Die Menschen dabei zu unterstützen, sich aus der Armut der Begierde zu befreien und das zu tun, was sie wirklich, wirklich wollen. Letzteres ist ein feststehender Begriff, ohne den eine Beschäftigung mit Bergmanns New-Work-Theorie nicht möglich ist. Erst wenn die Menschen das tun, was sie wirklich, wirklich wollen, können sie ihre Talente und Potenziale entfalten.
Wie soll das Ganze finanziert werden, wenn die Lohnarbeit nur noch einen Bruchteil der Lebenszeit ausmacht? Bergmann setzt auf eine Wirtschaft des minimalen Konsums. Statt ständig nur skalieren und wachsen zu wollen, sollen sich die Menschen auch bewusst werden, was sie wirklich brauchen. Viele Produkte seien ohnehin nicht sinnvoll. Ihr Gebrauch würde mehr Arbeit machen, als einsparen. So wie die Knoblauchpresse: Nach jeder Anwendung muss man sie aufwendig reinigen. Da überlegt man sich zwei Mal, ob man sie oft oder eher selten benutzt.
Das bisschen, was wir tatsächlich zum Leben brauchen, wird dank moderner Technologie in Zukunft dezentral und eigenständig hergestellt. Nicht unbedingt im eigenen Wohnzimmer, aber zum Beispiel in kleinen Stadtteilzentren. Mit den Fabriktoren hat Bergmann quasi schon vor Jahrzehnten den 3D-Drucker vorhergesehen. New Work bedeutet auch, dass der Konsument zum Produzenten wird. So wie es mit dem Web 2.0 bereits geworden ist, wenn es um Content geht.
Zentren für Neue Arbeit
Damals, als von Digitalisierung, Algorithmen, Robotern und 3D-Druckern noch niemand zu träumen wagte, war es die zunehmende Automatisierung in der Automobilindustrie, die den abhängig Beschäftigten Angst machte. In der Automobilstadt Flint in Michigan gründete Frithjof Bergmann 1984 das erste „Zentrum für Neue Arbeit“. Die Errichtung solcher Zentren rund um den Erdball wurde zur Lebensaufgabe des Philosophen.
In diesen Zentren arbeiten speziell ausgebildete Coaches und Trainer, die den Menschen helfen sollen herauszufinden, was sie wirklich, wirklich wollen. Auch wenn es dafür eine Vielzahl an Methoden gibt, Bergmann äußert sich auf das „Wie“ angesprochen überraschend unkonkret.
New Work – eine Utopie?
Kritiker sprechen bei der New-Work-Theorie von einer Sozialutopie. Bergmann von einer anderen Art, Arbeit zu organisieren. Und zwar so, dass es für die Arbeitenden nichts Gezwungenes mehr ist. Spaß an der Arbeit zu haben, ist ihm nicht genug. Ihm geht es um das wirkliche Streben des Individuums. Nur wenn jeder tut, was er wirklich, wirklich will, erreichen wir eine humanere, intelligentere, ökologischere und fröhlichere Arbeitswelt.
Ob Utopie oder nicht – New Work, so wie sie Frithjof Bergmann denkt, scheint in seiner radikalen Form aktuell kaum denkbar. Trotzdem ist das Thema in den letzten Jahren wieder „in Mode“ gekommen. Aufgabe ist es nun, das New Work von damals in ein New Work von heute zu überführen.
Agenturen, Unternehmen und Institutionen sollten sich nicht fragen, ob sie New Work einführen müssen. Sie sollten überlegen, welche Methoden dahinterstecken und welche davon für ihre Organisation sinnvoll ist. Fakt ist: New Work ist kein Allheilmittel. Und vor allem: New Work ist mehr, als einen Kicker ins Büro zu stellen und den Mitarbeitern einen Obstteller zu spendieren. Die Neue Arbeit ist eine Frage der Haltung, Führung und Kultur. Sie erfordert Umdenken statt Budget.
Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung
Dieses Umdenken erleben wir aktuell. Mit der Digitalisierung ziehen sich Führungskräfte weiter zurück. Hierarchieebenen verwischen oder verschwinden. Mitarbeiter und Teams arbeiten stärker aus sich selbst heraus. Im Idealfall versteht sich jeder Einzelne als Selbstständiger innerhalb der Organisation – geprägt von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung.
In der Praxis von Agenturen und Unternehmen bedeutet New Work mehr Flexibilität bei der Wahl der Arbeitszeit und des Arbeitsortes. Mehr Freiräume für Kreativität und persönliche Entfaltung. Mehr Handlungsspielraum. Das ist zwar alles noch weit entfernt von der radikalen Neuorganisation der Arbeits- und Wirtschaftskultur, kommt den Bedürfnissen der Generationen Y und Z aber näher.
Agenturen sind Vorreiter der New Work
Es ist die Agenturbranche, die hinsichtlich der neuen Arbeit eine Vorreiterrolle einnimmt. In kleineren Teams fällt es leichter, alte Strukturen aufzubrechen und neue Arbeitsmodelle einzuführen. Und Agenturen sind von Haus aus offener, was neue Tools wie zum Beispiel die Zeiterfassung über Apps angeht.
Fakt ist: Für die Menschen war es dank Computer und Internet nie einfacher als heute, sich selbst zu verwirklichen und das zu tun, was sie wirklich, wirklich wollen. Wer schon immer seine eigene Show haben wollte, muss nicht mehr bei ein paar wenigen Fernsehsendern, die den Markt dominieren, betteln. Stattdessen startet er einfach auf YouTube. Die notwendige Technik dafür tragen wir mittlerweile in der Hosentasche. ;-)
Auch Unternehmen können von New Work profitieren
Trotzdem bleibt die Frage: Werden Algorithmen und Roboter allein irgendwann dazu in der Lage sein, die Arbeit zu tun, die von den Menschen eben niemand wirklich gern und aus vollster Überzeugung tut?
New Work mag in seiner radikalen Form eine Utopie sein. Dennoch regt es zum Umdenken an. Schon heute kann jedes Unternehmen New-Work-Methoden ausprobieren und etablieren. Schließlich gelang auch die industrielle Revolution nicht an einem Tag. ;-)
Egal ob Unternehmen nun von der New-Work-Bewegung begeistert sind oder nicht – sie müssen sich mit ihrer Theorie und vor allem mit den Methoden und Modellen auseinandersetzen. Denn eins ist sicher: Mitarbeiter, die tun, was sie wirklich, wirklich wollen, sind kreativer, innovativer und produktiver. So steigern sie letztlich den Unternehmenserfolg. Es ist im Interesse der Unternehmen selbst, ihrem Personal Flexibilität und Handlungsfreiheit im Sinne von New Work einzuräumen.
Was haltet ihr von New Work? Begegnet euch das Thema im Alltag? Wir freuen uns, von euch in den Kommentaren zu lesen.