Ist der Desktop tot? Worauf ihr bei modernem Design achten solltet
Mobile Internetnutzung ist auf dem Vormarsch
Es ist nicht zu leugnen. Die Internetnutzung wird immer mobiler. Die Nutzung am großen Bildschirm des Desktop-PC hingegen ist auf dem Rückzug. Inzwischen teilt sich die Surfer-Gemeinde etwa zu gleichen Teilen in mobile und stationäre Nutzer. Je nachdem, welche Studie ihr zum Thema konsultiert, überwiegt mal die eine, mal die andere Fraktion minimal.
Wenn wir uns indes klarmachen, dass es Smartphones erst seit zehn Jahren gibt, ist der Anteil, den sie in dieser kurzen Zeit erringen konnten, nicht weniger als beachtlich. Gehen wir von unserem eigenen Nutzungsverhalten aus und schauen wir uns im Alltag unter Freunden, Bekannten und Verwandten um, wird deutlich, dass die Prognose, die die weitere Steigerung des mobilen Anteils voraussagt, nicht aus der Luft gegriffen ist.
Desktop ist nicht tot
Als Designer müssen wir uns zweierlei vor Augen führen. Der Desktop ist noch lange nicht tot und wird es niemals sein, auch wenn seine Bedeutung im Abnehmen begriffen ist. Schon aufgrund der Tatsache, dass auch in zwanzig Jahren noch Büroarbeitsplätze mit vollwertigen Rechnern ausgestattet sein werden, lässt sich ohne Risiko vermuten, dass diese Geräte auch in jener Zeit noch für Streifzüge durch das Weltennetz Verwendung finden. Designarbeit für den Desktop hat also durchaus ihre Berechtigung.
Zum anderen müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der Anteil mobiler Nutzer weiter steigen wird. Dabei sind die Ansprüche der Mobilnutzer drastisch anders als die Ansprüche der Desktop-Verwender.
Webdesign: Die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre
Zu Beginn meines Designerdaseins, vor einem Vierteljahrhundert, war das Webdesign schlicht eine Umsetzung des bisherigen Printdesigns auf ein neues Medium. Von daher waren es vornehmlich Printdesigner, die sich dem Thema widmeten. Die allgemeine Verfügbarkeit der Möglichkeiten, die niedrige Einstiegsschwelle, sorgte allerdings bald dafür, dass sich alle möglichen selbsternannten "Webdesigner" im Netz tummelten. Die Tools waren vornehmlich grafisch orientierte Programme, wie NetObjects Fusion oder Frontpage. Allerdings gab es schon damals die Radikalen, die behaupteten, der einzige Editor mit Berechtigung höre auf den Namen Vi.
Mit welchem Werkzeug auch immer wir damals arbeiteten, das Zielprodukt war stets gleich. Es ging darum, die statische Repräsentanz eines physikalischen Unternehmens in die Virtualität des Netzes zu übersetzen. Vielfach wurden deshalb schlicht vorhandene Image-Flyer und andere Materialien genommen und quasi ins Web übersetzt. Damit konnten wir lange gutes Geld verdienen.
Die größten Konflikte gab es nicht in Fragen von Frameworks, Standardkompatibilitäten oder in Sachen Zugänglichkeit. Vielmehr beschränkte sich der Streit darauf, für welche Auflösung wir unsere sogenannten Internetseiten optimieren sollten. Die Fraktion derer, die auf 800 mal 600 Pixel drangen, behielt bis über den Jahrtausendwechsel die Mehrheit. Zaghaft wurde danach auf 1.024 mal 768 Pixel hin optimiert. Jetzt wurde gestritten, ob wir die Seiten zentrieren sollten, damit bei größeren Monitoren wenigstens rechts und links vom Inhalt gleich viel Weißraum bliebe oder ob wir die Inhalte einfach linksbündig setzten. Die letztere Variante wurde später gerne von Seitenbetreibern genommen, die auf der rechten Seite ihre Werbung platzieren wollten.
Schon Anfang der Nuller gab es leise Stimmen, die das Fähnchen der Standardkompatibilität schwangen und für die Trennung von Inhalt und Design durch den korrekten Einsatz von HTML und CSS plädierten. Den Durchschnittsseitenbauer erreichten diese Plädoyers allerdings nicht, denn der Kunde war zufrieden mit seinem Tabellenlayout und mobile Geräte, auf denen diese Designs zerbrochen wären, gab es nicht. Selbst Community-Websites mit ihrem damals klassischen dreispaltigen Layout wurden auf Tabellenfundamenten gegründet. Formatangaben wurden fest im HTML verankert. CSS war im Grunde nicht erforderlich.
Die Revolution beginnt mit den Smartphones
Die Revolution setzte dann mit dem Siegeszug der Smartphones ein. Plötzlich kam auch Bewegung in die schleppende Fortschreibung des HTML-Standards. Ich bin ziemlich sicher, dass wir heute noch nicht HTML5 hätten, wenn die steigenden Zahlen der Verwender von iOS und Android nicht Druck ausgeübt hätten. Es dauerte nicht lange, bis klar wurde, dass die Website der Zukunft keine statische Repräsentanz real vorhandener Marken in der Virtualität mehr sein konnte.
Denn mobile Geräte haben andere Fähigkeiten. Die Verwendung findet unterwegs, teils im Gehen statt. Die Umgebung ist unruhig, kurz: Alle Nutzungsparameter unterscheiden sich deutlich von denen stationärer Desktop-Nutzung.
Das Design ändert sich, die Inhalte auch
Zunächst versuchten wir, wenigstens ansatzweise unsere traditionellen Vorgehensweisen zu retten, indem wir einfach eine Desktop-Seite und eine weitere mobile Seite für unsere Kunden erstellten. Dabei hatten die beiden Seiten zumeist inhaltlich nur wenig Übereinstimmung, denn wir sahen für den mobilen Nutzer nur abgespeckte Inhalte vor, etwa die Anfahrtskarte oder die Öffnungszeiten, während wir auf der Desktopseite den gesamten Stammbaum des Unternehmensgründers in epischer Breite darlegten.
Es waren die Anwender, die deutlich machen mussten, dass sie abgespeckte Angebote nicht akzeptieren und so setzten sich letztlich responsive Designansätze durch. Heutzutage sprechen wir zumeist direkt von Web-Apps, nicht mehr so sehr von Webseiten. Denn kaum eine Website ist in der heutigen Zeit rein statisch. Zumindest basieren nahezu alle auf irgendeinem Content Management System; oft ist das WordPress. In den meisten Fällen gibt es zudem irgendeine erweiterte Form von Datenanbindung, selbst bei der Müllabfuhr kann man sich heute online die Leerungstermine ausgeben lassen.
Der Trend im Design hat sich in den letzten zwanzig Jahren von grafisch opulent hin zu minimalistisch entwickelt. Minimalistische Ansätze, wie etwa Googles Material Design oder Flat Design im Allgemeinen, sind der aktuelle Standard. Problematisch daran ist, dass auf diese Weise Webdesign immer uniformer wird. Die Designrichtlinien und Bedienkonzepte der großen Smartphone-Betriebssysteme sorgen auch nicht eben für eine muntere Designvielfalt.
Eure Webdesigns unterscheiden sich immer weniger
So befinden wir uns also an einem Punkt, an dem sich die eine Web-App nur schwer von der anderen unterscheiden lässt. Hinzu kommt, dass es eine breite Vielfalt verschiedener Web-Apps gibt, die aber alle die gleiche Aufgabe erledigen. Wie bringen wir den Verwender dazu, unsere Web-App oder die unseres Kunden der des Wettbewerbers vorzuziehen?
Ja, Design ist schwieriger, anspruchsvoller geworden. Das gilt zumindest dann, wenn ihr euch nicht zufrieden geben wollt mit der allgemeinen Gleichförmigkeit. Bloß, was können wir tun?
Das Mindestmaß umzusetzender Designprinzipien
Ungeachtet aller gestalterischer Fragen müssen wir uns auf Designprinzipien besinnen. Aus meiner Sicht stellt die konsequente Beachtung gängiger Prinzipien das Fundament dar, auf dem dann gebaut werden kann.
Responsive Design
Webseiten, die sich automatisch an unterschiedliche Viewports anpassen, sind quasi zum Standard geworden. Egal, ob per Media-Queries oder voll responsiv, kaum eine aktuelle Website wäre heutzutage nicht variabel. Leider gilt diese Variabilität in der Darstellung vielfach nur oberflächlich.
Zwar reagieren sehr viele Websites mit Größenänderungen auf die Veränderungen des Browserfensters, viel mehr steckt jedoch vielfach nicht dahinter. Zu echtem responsiven Design hingegen, gehört auch das Zuschneiden von Inhalten auf unterschiedliche Devices oder das Weglassen von Optionen, die nur auf bestimmten Geräten Sinn ergeben, sowie die automatische Bereitstellung unterschiedlicher Bildauflösungen anstelle des bloßen Skalierens der Ansicht.
Vorhersehbares Design
Der Mensch mag es nicht, wenn er ein Produkt nicht direkt bedienen kann. Er wird nur im Notfall bereit sein, zu einem Handbuch zu greifen. Zunächst wird er versuchen, seinen bisherigen Erfahrungsschatz zu nutzen, um auf diese Weise aus eigener Kraft zum Erfolg zu kommen. Lasst also diese tolle Idee mit dem vollkommen neuen optischen Konzept fallen und schaut, was sich als Best Practice in dem Produktbereich, in dem ihr tätig seid, erwiesen hat.
Lenkendes Design
Ich kenne Designer, die sind stets versucht, dem potenziellen Nutzer alle möglichen Wege nach Rom anzubieten. Da werden Klickpfade gebaut, die würden einer Wanderwegsnavigation mit Google Maps alle Ehre machen. Das ist kein Design. In dem Falle gilt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Design muss lenken. Der Designer trifft die Entscheidungen nach seiner Expertise und gibt dem Verwender den fachlich optimalen Weg vor. Das mag man diskutieren können, tun müsst ihr es trotzdem. Ein gutes Beispiel könnt ihr euch an der Designabteilung von Apple nehmen. Die treffen ganz klare Design-Entscheidungen und stehen dazu.
Wo ich gerade bei Google Maps bin. Auch im Webdesign gilt natürlich nach wie vor das Prinzip der schnellsten Route. Wenn ihr den Verwender auf irgendeine Weise schneller zum Ziel bringen könnt, dann gibt es keinen Grund das nicht zu tun. Und wenn der Müller aus dem Marketing zehn Mal in dieses neue "Interstitial" verliebt ist...
Menschliches Design
Design mit dem Menschen im Fokus zu betreiben, ist das wichtigste Prinzip überhaupt, gleichzeitig aber auch jenes, was am häufigsten ignoriert wird. Das fängt vielfach schon da an, wo der potentielle Besucher noch gar nicht wirklich zum Besucher geworden ist. Der SEO-Experte setzt Keywords in die Website ein, die zu möglichst vielen Besuchen führen sollen. Daran ist erstmal nichts verwerflich, sofern die Seite, die dann besucht wird, auch zu diesen Keywords die erwarteten Inhalte liefert. Und zwar in einer Weise, die nicht nur die Crawler der Suchmaschinen begeistert, sondern auch die Menschen.
Üble Tricks haben dafür gesorgt, dass das Netz sich einem kollektiven negativen Vorurteil ausgesetzt sieht. Deshalb muss menschliches Design sich dafür einsetzen, genau dieses Vorurteil schnellstmöglich abzubauen.
Dazu bedarf es im Grunde nur einer Ehrlichkeit, die sich in kurze Sätze fassen lässt:
- Liefert, was ihr versprecht
- Zeigt eindeutig und klar, worum es bei der Website geht
- Seid nicht innovativ, sondern vorhersehbar
- Baut keine unnötigen Interaktionen
- Verlangt keine unnötigen Informationen
Fazit: Keep Breathing
Wenn wir uns gezielt umschauen, dann erkennen wir, dass viele der genannten Designprinzipien unterrepräsentiert sind. Hier könnt ihr ziemlich schnell Wettbewerbsvorteile entwickeln. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob der potenzielle Nutzer euer digitales Produkt am Desktop oder am Mobilgerät konsumieren wird. Die Königsdisziplin ist sicherlich, den mobilen Nutzer zu begeistern. Dann habt ihr den Desktopnutzer schon lange im Sack.
Kommentare
Hallo erstmal und vielen Dank für diesen aufschlussreichen Beitrag. Gerade der Stil und die Tipps haben mir imponiert. Eine Frage hätte ich aber: Welche Bedeutung nehmen die Überschriften aus eurer Sicht ein? Viele diskutieren über diesen Bereich ja doch recht intensiv. Über eine Antwort würde ich mich freuen.
Richtig und auch wichtig ist die Entwicklung hin zur mobilen Nutzung bzw. der Möglichkeit dies überhaupt zu können. Der Desktop, gerade im Unternehmensumfeld, ist jedoch nicht ersetzbar und ermöglicht erst übersichtliches und produktives arbeiten. Mobile kann nur als Ergänzung dienen. Zum rum-Spielen und durch Kataloge klicken, kann man sicher Mobile Geräte als Substitut nutzen, die dann häufig auch den Kauf schneller ermöglichen. Die Debatte ist aber häufig bezogen auf die Unternehmen oder privat Personen, die ohnehin schon gute Websites machen oder haben. Wirklich relevante Größen der Industrie und Wirtschaft, die wirklich Innovation in Form von vernünftiger Bedienbarkeit bräuchten und bei denen man sich jedes mal über die Websites aufregt, machen jedoch rein gar nichts besser, eher immer schlechter oder eben gar nichts.
Desktop und Apps haben , wie im Text geschrieben, unterschiedliche Anforderungen. Ein guter Ansatz ist es, Mobile Anwendungen nicht als bloße Kopie von Standardsoftware zu erstellen, sondern als Erweiterungen. Zb. gibt es mittlerweile viele Anbieter (die teilweise kostenlos) aus deinem ohnehin schon responsivem Blog, eine App für iPhone und Android zu erstellen. Solche Apps bieten aber keinen Mehrwert und sind Ressourcenverschwendung. Ein besserer Ansatz ist es beide Plattformen wie Komplementäre (und nicht wie Substitute) zu designen, die Hand in Hand agieren. Dafür braucht es aber viieeeel Kreativität und Mut für Neues :) Für mich ist es ein aktuelles Thema, das von vielen Firmen kaum wahrgenommen wird. Den Anfang machen dann oft die "kleinen" findigen Innovatoren.