Joomla! und Barrierefreiheit – Tipps von Expertin Sigrid Gramlinger (Agentur webgras)

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Das CMS Joomla bietet zahlreiche integrierte Funktionen, um Barrierefreiheit einfacher umzusetzen – von barrierefreien Templates bis hin zu Accessibility-Checks. Trotzdem wird das Ganze oft unterschätzt. Wir haben mit der Joomla-Expertin Sigrid Gramlinger von der Agentur webgras gesprochen, um herauszufinden, wie man mit Joomla Websites optimal barrierefrei gestaltet und warum das nicht nur für Menschen mit Einschränkungen, sondern für alle Nutzer ein Gewinn ist.

Hallo Sigrid, stell dich und deine Agentur doch einmal kurz vor! 

Sehr gerne! Ich bin Sigrid Gramlinger und beschäftige mich schon seit über 20 Jahren mit Webdesign und Entwicklung. Ursprünglich habe ich Wirtschaftspädagogik studiert, dann in Hamburg und Griechenland gelebt und gearbeitet. Seit 2007 sind wir wieder in Österreich. Meine Agentur webgras gibt es seit 2004 – unser Fokus liegt auf Joomla Websites, und das für Kundinnen und Kunden in Österreich, Deutschland, der Schweiz und sogar darüber hinaus. 

Warum hast du dich für Joomla! entschieden? 

2010 habe ich mich endgültig auf Joomla spezialisiert. Davor hatte ich auch mit anderen Open-Source-CMS wie TYPO3 oder WordPress gearbeitet. Aber ich wollte mich wirklich tief in ein System einarbeiten, statt überall nur an der Oberfläche zu kratzen. Joomla hat mich überzeugt, weil es von Haus aus eine starke Benutzerverwaltung und Mehrsprachigkeit bietet und extrem flexibel mit Overrides arbeitet. Damit kann ich vom kleinen Webauftritt bis zum großen Online-Shop alles umsetzen – ohne mich ständig nach Workarounds oder Plugins umsehen zu müssen. 

Wann hast du angefangen, dich mit Barrierefreiheit zu beschäftigen? 

Das Thema hat mich von Anfang an begleitet. Schon zu Beginn meiner Selbstständigkeit habe ich diverse Online-Kurse gemacht, unter anderem bei der amerikanischen HTML Writers Guild. Dort bin ich auf einen Accessibility-Kurs gestoßen – und der hat mich sofort fasziniert. Gleichzeitig wurden damals die BIENE-Awards ins Leben gerufen (ein Preis für barrierefreie Websites), und das hat das Thema auch medial sichtbarer gemacht. 

Viele Unternehmen haben den zusätzlichen Aufwand für Barrierefreiheit damals eher als Luxus gesehen – also habe ich einfach von mir aus so viel wie möglich umgesetzt. Und wie sich gezeigt hat: Wer barrierefrei entwickelt, macht gleichzeitig auch etwas für SEO und Nutzerfreundlichkeit. Mein Mantra damals wie heute: Kein Text in Bildern! Früher war das leider noch weit verbreitet, weil es kaum Webfonts gab und CSS viel limitierter war. 

Hast du eine Bauanleitung für barrierefreie Joomla-Websites? 

Joomla bringt auf jeden Fall viele gute Features mit: 

  • Ein barrierefreies Standard-Template (Cassiopeia)
  • Ein Dropdown-Menü, das barrierefrei funktioniert
  • Einen Barriere-Check für Redakteur*innen, der prüft, ob z. B. Alt-Texte und Überschriften stimmen
  • Ein Skip-To-Link-Plugin, mit dem Nutzer*innen direkt zum Inhalt springen können

Wir setzen auch Websites mit dem YOOtheme-Template barrierefrei um.

Screenshot des Dropdown-Menüs von www.neba.at

Barrierefreies Dropdown-Menü auf www.neba.at

Spürst du, dass das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz das Thema jetzt wichtiger macht? 

Definitiv. Viele Unternehmen sehen es aber erst mal als lästige Pflicht, ähnlich wie damals die DSGVO. Wir bekommen mittlerweile konkrete Anfragen zur Evaluierung von Websites und sobald man die Vorteile gut erklärt sehen viele, dass es sich lohnt: Bessere Nutzererfahrung, besseres SEO, besseres Ranking in Suchmaschinen. 

Um das einmal genauer zu erläutern: 

  • Websites mit hohem Farbkontrast sind für alle besser lesbar – auch, wenn du draußen in der Sonne auf dein Handy schaust.
  • Eine saubere HTML-Struktur mit richtigen Überschriften, Listen und Alt-Texten hilft nicht nur Screenreadern, sondern auch Suchmaschinen und KI-Bots, die Inhalte besser zu verstehen.
  • Wenn eine Website barrierefrei ist, ist sie in der Regel auch benutzerfreundlicher – das freut nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern einfach alle.

Was war dein größtes Projekt im Bereich Barrierefreiheit? 

Ganz klar: www.neba.at. Die Website sollte eine WCAG-Zertifizierung nach WACA erhalten, und das hat etwas Lernzeit in Anspruch genommen. Sie wurde einem externen Audit unterzogen, und wir haben detaillierte Rückmeldungen zu vorhandenen Barrieren bekommen. Innerhalb eines Monats haben wir dann alles überarbeitet – das war ein echtes Intensivtraining für unser Team.

Screenshot der Website www.neba.at

www.neba.at

Kannst du grob erklären, was eine Website erfüllen muss, um WCAG-konform zu sein? 

Die WCAG 2.2 basiert auf vier Prinzipien: 

  1. Wahrnehmbarkeit – Inhalte müssen alternative Formate haben (z. B. Alt-Texte für Bilder, Untertitel für Videos) und gut lesbar sein. 
  2. Bedienbarkeit – Die gesamte Website muss per Tastatur nutzbar sein. 
  3. Verständlichkeit – Inhalte und Navigation müssen klar und vorhersehbar gestaltet sein. 
  4. Robustheit – Der Code muss sauber sein, damit Screenreader und andere Hilfsmittel die Seite korrekt interpretieren können. 

Wenn man diese Punkte schon beim Design mitdenkt, hat man später deutlich weniger Arbeit. 

Wie aufwändig ist es, eine bestehende Website barrierefrei zu machen? 

Das kommt darauf an.

Ist eine gute Basis vorhanden? Dann sind 80–90 % wahrscheinlich schon barrierefrei, der Aufwand liegt bei 3–4 von 10. 

Ist es eher eine schlechte Basis? Fehlende Kontraste, HTML-Fehler, nicht mit der Tastatur bedienbar? Dann liegt der Aufwand eher bei 9–10 – und im schlimmsten Fall muss das Frontend komplett neu gebaut werden. 

Welche Tools nutzt du, um eine Website auf Barrierefreiheit zu testen? 

Ich teste immer zuerst per Tastatur, ob die Seite benutzbar ist. Dann kommen diese Tools ins Spiel: 

  • WAVE Browser Plugin 
  • Firefox Developer Toolbar 
  • Google Chrome Accessibility Check 
  • W3C HTML Validator 

Ein echter Gamechanger ist ein Screenreader – viele mobile Geräte haben einen eingebauten, den man nur aktivieren muss. Das sollte jeder mal ausprobieren! 

Welchen Tipp möchtest du Joomla-Anwendern mitgeben? 

Schaut euch die Barrierefreiheits-Funktionen von Joomla genau an – und probiert sie aus! Wer sich intensiver mit dem Thema beschäftigen will, sollte mit Menschen sprechen, die Screenreader & Co. tatsächlich nutzen. Nichts ist lehrreicher, als zu sehen, wie jemand mit einem Screenreader durch eine Website navigiert! 

Mein letzter Tipp: Probiert mal das WCAG Evaluation Tool. Damit kann man eine Website Schritt für Schritt nach WCAG-Kriterien durchchecken. Je nach Größe der Website kann das 10 Stunden oder mehr dauern – aber das Wissen, das man dabei gewinnt, ist unbezahlbar.